Was es bedeutet, traumatisiert zu sein

Traumatisiert zu sein heißt, Erfahrungen gemacht zu haben, die für dich nicht integrierbar waren. Sie waren zu schnell zu laut, zu plötzlich, nicht verstehbar und oft extrem bedrohlich.

Aus diesen für das persönliche Sicherheitsbedürfnis nicht tragbaren Erfahrungen, folgt die Not: um alles in der Welt eine Wiederholung dieser Erfahrungen zu verhindern und dich sehr viel besser zu schützen. Wenn es äußerlich nicht möglich ist, wie bei Traumaerfahrungen meist der Fall, versuchen wir uns intern zu schützen, indem wir uns in uns selbst zurückziehen, uns von uns selbst abspalten, unser Nervensystem sofort in Alarmbereitschaft versetzten oder uns von unserer Körperlichkeit zurückziehen, so das wir keine Gefühle mehr wahrnehmen.

Mit dieser Form des verautomatisierten Schutzes haben Menschen nach Traumaerfahrungen in ihrer Alltagsrealität zu tun. Dabei ist es nicht möglich oder sinnvoll von der objektiven Schwere des Ereignisses auf die Art der Symptome zu schließen. Hier schließe ich mich den Worten von Peter Livine, eines der berühmtesten Traumaforscher an: „Eine Trauma erkennen wir  im Nervensystem des Menschen, nicht im Ereignis selbst.“

Ein Trauma ist also letztlich eine Reaktionsweise deines Nervensystems auf Impulse von außen oder innen, mit denen du bestrebt bist dein Überleben sicher zu stellen.

Unser Nervensystem zeigt dabei letztlich eine sehr normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis. Eine Reaktion die sehr sinnvoll war, als wir noch mit dem Säbelzahntiger kämpften und wir blitzschnell reagieren mussten, ohne Zeit um etwas innerlich abzuwägen. In dieser Zeit hing unser Überleben von Millisekunden ab in denen unsere Systeme autonom reagieren musste und dabei entweder den Impuls gab zu fliehen, zu kämpfen oder uns durch innerliches erstarren leblos zu machen und Tod zu stellen. (Wodurch ich vielleicht verschont werde.)

Diese Überlebensmechanismen werden von unserem Stammhirn aus maßgeblich gesteuert. Es ist unser ältestes Hirnareal, dass wir mit allen Tieren, besonders den Säugetieren teilen. Es reguliert unser autonomes Nervensystem welches die elementaren körperlichen Funktionen wie Atmung, Verdauung, Erregungslevel und viele andere kontrolliert. In der komplexen Realität des 21. Jhd. sind diese autonomen Reaktionen unseres Nervensystems durchaus problematisch wie es die neuronalen Prozesse im Fall einer Traumatisierung zeigen.

Wege traumatischer Verarbeitung

Für das Verständnis von Trauma und frühen Verletzungen ist es besonders wichtig zu verstehen, dass unser gesamtes regulierendes System auf Überleben ausgelegt ist. Sprich unser Gehirn/ Nervensystem möchte verhindern, dass wir sterben oder uns in einer großen Gefahr befinden. Um das zu verhindern, haben wir uns eine ganze Reihe von neuronalen Regulationssystemen angelegt.
In unserem Gehirn gibt es grundsätzlich einen „höheren“ Entscheidungsweg, welcher die Auswertung der Daten im Neo-Kortex abwartet und einbezieht und es gibt einen schnelleren „niedrigen“ Weg, der ein blitzschnelles Verhalten aufgrund minimalster Informationen einleiten kann.

Dieser schnellere Pfad ist für das menschliche Überleben von entscheidender Bedeutung. Vom Stammhirn und limbischen System gesteuert, übernimmt er bei Gefahr, ob real oder eingebildet, das Steuer und lässt uns z. B. wenn ein Auto auf uns zufährt, automatisch zur Seite springen, bevor wir darüber nachgedacht haben und rettet somit unser Leben. Dieser Vorgang wird im Traumabereich „bottom-up highjacking“ (Entführung von unten nach oben) genannt. Die höheren Hirnareale werden dann in ihrer Funktion durch die unteren quasi überschrieben. So fallen wir in einen eher desintegrierten Zustand, welcher von unseren älteren Hirnarealen mit Emotionen und Überlebensreflexen gesteuert wird.

Dieser schnellere Pfad wird immer in einem subjektiven Gefühl von Bedrohung aktiviert. Dabei ist unser Nervensystem in höherer Alarmbereitschaft, um mögliche Gefahren zu erkennen und entweder die Flucht und Kampfreaktion einzuleiten oder in letzter Konsequenz uns tot zu stellen, um zu überleben.
In einem solchen Zustand ist Exploration und Entspannung praktisch unmöglich. Auch das Aneignen neuer Handlungswege oder Reaktionsmöglichkeiten ist stark eingeschränkt. Wir Menschen sind nur in einem Zustand, in dem wir uns sich sicher fühlen bzw. das soziale Nervensystem aktiv ist, bereit für Veränderungsprozesse und Entwicklung.

Um in unserem Leben gut und funktional zu agieren, sind wir darauf angewiesen, uns gut regulieren zu können. Dabei bedeutet Regulation, sich innerlich selbst zu beruhigen und in einem eher angenehmen emotionalen Zustand halten zu können, Impulse zurückstellen zu können und unsere Aufmerksamkeit zu richten und zu halten. Um dies zu tun, greifen wir auf erlernte Strategien und Ressourcen zurück. Diese Strategien werden oft schon in der frühen Kindheit erworben und sind je nach Lebensumständen nicht immer funktional und erfolgreich. Um neue Strategien zu implementieren, braucht es ein langsames lernen eigener Selbstregulation und einen guten Kontakt zu unserem Körper, dessen Reflexe es sind, die wir verändern möchten.

Schock und Entwicklungstrauma

Ein Entwicklungstrauma entsteht in der Zeit der frühen Kindheit, das heißt in der Phase, in welcher der Säugling oder das Kind existenziell davon abhängig ist von Erwachsenen neben physischer Versorgung von Nahrung und körperlicher Pflege auch die emotionalen Grundbedürfnisse nach Kontakt, Einstimmung der Entwicklung von Vertrauen und später der angemessenen Autonomie erfüllt zu bekommen.
Ein Baby/ Kleinkind kann sich noch nicht selbst regulieren. Es hat noch nicht das Vermögen,  das eigene Nervensystem zu beruhigen oder auch positiv zu aktivieren. Ein Baby ist darauf angewiesen, von außen beruhigt zu werden und sich erst nach und nach so sicher zu fühlen, dass es sich selbst beruhigen kann.